Alter schützt vor lesen nicht

Artikel der Saarbrücker Zeitung | Beitrag vom: 28.10.2010 | von: SZ-Redakteur Gunther Thomas

Neunkirchen. Dass zur Lektüre einer Seniorin im fortgeschrittenen Alter politische Magazine und Zeitungen gehören, ist an sich schon ungewöhnlich. Dass eine Dame, die „stramm auf die 100 zugeht” eine Augenoperation auf sich nimmt, um solche Publikationen weiterhin studieren zu können, dürfte beispiellos sein.

Die Neunkircherin Hildegard Jakob, die am 1. Dezember ihr einhunderstes Lebensjahr vollendet, jedenfalls ärgerte sich darüber, dass wegen ihres nachlassenden Augenlichts die von ihr abonnierten Magazine „Spiegel” und „Fokus” sowie die Wochenzeitung „Die Zeit” vor ihren Augen verschwammen. Also suchte sie mit Unterstützung ihres Hausarztes den Neunkircher Augenmediziner Dr. Bila Beetari auf, um sich eine stärkere Brille anpassen zu lassen. Der aber musste ihr mitteilen, dass der Graue Star ihr Sehvermögen unwiderruflich beeinträchtigt hat. In einem solchen Fall hilft nur das Einpflanzen neuer Linsen.

Die resolute Seniorin bestand auf der angesichts ihres fortgeschrittenen Alters nicht risikolosen Operation. Die wurde zügig in Angriff genommen und es ging alles gut: Dr. Beetari („Man muss den Willen der Patienten respektieren”) verhalf ihr mit der Erfahrung von 4.000 Operationen wieder zu klarer Sicht. Nachdem sie vor kurzem binnen einer Woche an beiden Augen operiert worden war, kann sich Hildegard Jakob im Alltag sogar wieder ohne Brille bewegen. Nur fürs Lesen muss der gebürtigen Völklingerin, die seit 1977 im Neunkircher Altseiterstal wohnt, noch eine Sehhilfe angepasst werden. Dann kann die zeitlebens politisch interessierte Seniorin sich wieder dem Zeitschriftenstudium widmen und politische Sendungen im Fernsehen anschauen.

Hildegard Jakob ist die weitaus älteste Patientin, die Dr. Beetari bisher unters Skalpell kam. „Das war eine Operation weit außerhalb der Routine”, erläutert er. „Die Patienten, die sich am Grauen Star operieren lassen, sind im Durchschnitt 73 Jahre alt.” Allerdings sei die Altersgrenze in den letzten Jahren nach oben gerückt – die demographische Entwicklung lässt auch hier grüßen.

Dass jemand mit 100 Jahren derart aufgeschlossen fürs Zeitgeschehen ist wie Hildegard Jakob ist allerdings lange nicht selbstverständlich. „Sie behält auch, was sie liest”, unterstreicht ihre Tochter Isolde Goergen die geistige Fitness. „Die liegt bei uns in der Familie!”

Auch, dass sie weiterhin in ihrer eigenen Wohnung leben kann, war für Hildegard Jakob ein Motiv, ihr Augenlicht zu erhalten: „Wenn ich nix mehr sehe, müsste ich in ein Heim!” Und sie denkt weiterhin an ihre Gesundheit: „Als nächstes muss ich zu einem HNO-Arzt”, erklärt sie – auch mit der nachlassenden Hörfähigkeit will sie sich nicht ohne weiteres abfinden.

Darüber hinaus hat die belesene Seniorin mit poetischer Veranlagung bereits die Feier ihres 100. Geburtstages im Blick: Sie hat schon die Begrüßungsrede für ihre Gäste verfasst – und zwar in Reimen. „Die Patienten, die sich am Grauen Star operieren lassen, sind im Durchschnitt 73 Jahre alt.”

Hildegard Jakob (hier mit Tochter Isolde Goergen) ergibt sich nicht in die Beschwerden des Alters: Mit 99 Jahren unterzog sie sich einer Operation bei Augenarzt Dr. Bilal Beetari.

Foto: Willi Hiegel